Wikileaks-Depeschen:Enthüllt: Der "Spiegel" spricht schräges Englisch

Wer sich vom Inhalt der Wikileaks-Enthüllungen ein zutreffendes Bild machen will, sollte das Original im Internet nachlesen - denn auf die Übersetzungen der Medien ist nicht immer Verlass.

Peter Blechschmidt

Wer sich vom Inhalt der Wikileaks-Enthüllungen ein zutreffendes Bild machen will, muss schon selbst im Internet nachlesen. Die auszugsweise Wiedergabe in den Medien spiegelt nur einen Teil der Wahrheit.

Das zeigt sich am Beispiel von Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP). In der Aufbereitung der US-Dokumente durch den Spiegel taucht Niebel außer mit einem Halbsatz nur in einem Bildkasten auf, dafür aber mit Foto auf der Titelseite und dem Bildtext "Schräge Wahl". Dies ist die Übersetzung des Spiegel. Im Originaldokument der Botschaft bei Wikileaks heißt es, Niebel sei als Entwicklungsminister "an odd pick".

Das Online-Wörterbuch Leo bietet für odd eine Reihe von Übersetzungen an, unter anderem ungewohnt, merkwürdig, seltsam. Schräg kommt nicht vor. Die passende Übersetzung wäre, so Englisch sprechende Diplomaten, ungewöhnlich im Sinne von überraschend. Als überraschend wurde Niebels Berufung auch in der deutschen Öffentlichkeit gewertet, da die FDP im Wahlkampf die Integration des Entwicklungsministeriums in das Auswärtige Amt propagiert hatte.

So steht es völlig wertfrei im Bericht der Botschaft, der auch sonst Niebels Positionen - bessere Verzahnung mit der Außenpolitik, mehr Hilfe für Afghanistan, weniger Geld für China - korrekt darstellt. In der kurzen Personenbeschreibung werden auch Niebels acht Jahre bei den Fallschirmjägern der Bundeswehr und seine Tätigkeit als Arbeitsvermittler in Heidelberg aufgeführt, was der Spiegel aufgreift.

Dass Niebel seit zwölf Jahren Berufspolitiker ist, was ebenfalls im Bericht der Botschaft steht, findet das Magazin nicht erwähnenswert. Die Spiegel-Formulierung, US-Vertreter sähen Niebel als Fehlbesetzung, ist die Wertung der Journalisten. Das Original gibt das nicht her. Im Gegenteil. Nach einem Monat im Amt sieht die Botschaft Niebel offen dafür, im Norden Afghanistans "mehr zu tun".

Auch die Darstellung des Spiegel, wonach FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle in den Botschaftsberichten durchgängig negativ beschrieben werde, trifft nicht zu. Dass Westerwelle als Außenpolitiker ein unbeschriebenes Blatt war, wusste jeder in Berlin. Die Botschaft bescheinigt ihm jedoch - neben der Wiedergabe vieler negativer Kommentare über ihn -, schnell zu lernen und sich als Außenminister Profil erwerben zu wollen. Westerwelle sei ein Freund Amerikas, wenn auch ein schwieriger. Erwähnt wird überdies, wie sehr Westerwelle der Vision des US-Präsidenten Barack Obama von einer atomwaffenfreien Welt nacheifert. Auch darüber findet sich im Spiegel kein Wort.

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